Schlaglichter auf die Geschichte der Frauenbewegungen, die verschiedenen Strömungen, ihr Selbstverständnis, ihre Themen und Debatten.
1. Gibt es «den» Feminismus überhaupt?
Feminismus ist vielfältig und variiert – je nachdem welche Gesellschaft oder welche historische Zeit man betrachtet. Das schlägt sich auch in den vielen verschiedenen Begriffen nieder, die jeweils auf Unterschiedliches verweisen: Einige, wie Gleichstellungsfeminismus, Differenzfeminismus und diskurstheoretischer Feminismus, zeigen die Verbindung zu den jeweiligen Denkschulen und Theorien. Andere verorten eher: Von Netzfeminismus wird zum Beispiel gesprochen, wenn es um feministische Themen und Aktivitäten im Internet oder um eine kritisch-feministische Perspektive auf netzpolitische Themen geht.
Eine den verschiedenen feministischen Strömungen gemeinsame Grundannahme ist, dass alle Geschlechter gleichwertig sind und deshalb gleichberechtigt sein sollten. Die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter ist aber noch lange nicht erreicht. Feminismus analysiert aus verschiedenen Blickwinkeln die Gründe, warum Gleichberechtigung noch nicht geschafft ist. Er geht zum Beispiel Fragen nach wie: Warum ist das Einkommen von Frauen in Deutschland im Durchschnitt 21 Prozent geringer als das von Männern? Warum sind Frauen in Führungspositionen stark unterrepräsentiert? Warum haben 35 Prozent der Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt? Was verhindert, dass Frauen politische Ämter übernehmen und im Bundestag nicht mehr als 31 Prozent stellen? Wie prägen Schönheitsideale und Körperbilder Mädchen und Jungen und schränken sie in ihrer körperlichen und psychischen Entwicklung ein?
Antworten auf diese Fragen sind vielschichtig und nicht einfach. Aber es sind immer Dominanz- und Machtverhältnisse, die Gleichberechtigung verhindern. Feminismus benennt diese und setzt sich dafür ein, dass jede*r das eigene Leben auf vielfältige Art und Weise selbstbestimmt und gewaltfrei gestalten kann. Grundsätzlich gilt: Feminismus strebt eine gerechtere Gesellschaft für alle an und will keine Umdrehung von Herrschaft, wie oft von Antifeminist*innen behauptet wird.
2. Ist Gleichstellung der Geschlechter nicht längst erreicht?
Auf rechtlicher Ebene ist die Gleichstellung der Geschlechter sicherlich weitgehend festgeschrieben. Auch klassisch sexistische oder homosexuellenfeindliche Einstellungen haben insgesamt abgenommen – zum Beispiel die Meinung, Frauen gehörten an den Herd oder Homosexuelle und Transmenschen seien krank. Das bedeutet aber nicht, dass Diskriminierung oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verschwunden wäre. Die rechtliche Gleichstellung im gesellschaftlichen Miteinander, in den Strukturen öffentlicher Institutionen, der Wirtschaft und in der politischen Gestaltung ist nur lückenhaft umgesetzt. So gehört Sexismus für viele Frauen zum (beruflichen) Alltag. Sie werden etwa indirekt beim Einstellungsgespräch gefragt, ob sie planen, Kinder zu bekommen, oder wie sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen – Männer hören so etwas nicht.
Auch kämpfen Frauen noch immer gegen Vorurteile hinsichtlich ihrer beruflichen Fähigkeiten. Sie verdienen im Durchschnitt deutlich weniger als Männer, erfahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sowie sexualisierte Gewalt im häuslichen Umfeld. Nicht zuletzt übernehmen Frauen den größten Teil der Care-Arbeit, also Tätigkeiten, bei denen Menschen für andere Menschen sorgen, wie zum Beispiel Hausarbeit, Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Viele Frauen reduzieren Erwerbsarbeit, um unbezahlte Care-Arbeit zu übernehmen. Das erhöht ihr Armutsrisiko vor allem im Alter.
Auch Männer erleben Benachteiligungen aufgrund überholter Vorstellungen von Geschlechterrollen, zum Beispiel, wenn sie Elternzeit nehmen oder nicht den traditionellen Männlichkeitsbildern im Betrieb entsprechen wollen. Weiterhin
diskriminiert werden Lesben, Schwule, Inter- und Transmenschen. Viele Menschen finden nicht hetero-sexuelle Lebensweisen immer noch problematisch. Erst das Bundesverfassungsgericht hat im November 2017 dem Gesetzgeber aufgetragen, den Weg für die Anerkennung eines dritten Geschlechts freizumachen (s.a. Seite 30).
Eine offene und demokratische Gesellschaft ist dafür verantwortlich, dass Minderheiten geschützt und auch strukturell nicht ausgeschlossen werden. Das klappt nur, wenn Menschen Aversionen gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen abbauen und die politischen Akteur*innen Veränderungen verantwortungsvoll vorantreiben.
3. Was hat Feminismus mit Gender zu tun?
Zu der feministischen Wissenschaft und Theoriebildung gehören wissenschaftliche Konzepte, die Geschlecht als sozial konstruiert (gender) und damit unabhängig vom biologischen Geschlecht (sex) betrachten. Geschlechterrollen stellen soziale Zuschreibungen dar und sind daher veränderbar. Feministische Wissenschaft erforscht, wie sich soziale Prozesse und Machtverhältnisse zwischen Geschlechtern gestalten und zu geschlechtsspezifischen Benachteiligungen sowie zur Strukturierung und Hierarchisierung des Alltags beitragen.
Gender als Analysekategorie hat auch die Forschung zu sexuellen Minderheiten vorangetrieben und damit im Alltag dazu beigetragen, dass Menschen von den Zwängen der binären Geschlechternorm befreit werden. Einige feministische Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen problematisierten diese Abkehr vom Kollektivbegriff «Frau» und hin zu den differenzierenden Konzepten des Gender und der Dekonstruktion von Geschlecht. Für politisches Handeln betrachten sie die Existenz von Frauen als erkennbare Subjekte, als soziale und politische Kategorie als notwendig. Einerseits Gender als das «kritische Werkzeug» des Feminismus zu betrachten (Sabine Hark), und andererseits «mehr Feminismus» zu wagen (Mechthild Veil), ist ein möglicher Weg, damit umzugehen.
4. Können auch Männer Feminist*innen sein?
Aber sicher! Feminist*innen setzen sich dort, wo Menschen wegen ihres Geschlechts benachteiligt werden, dafür ein, das zu verstehen und zu überwinden. Viele Männer sind laut Genderforscher Andreas Kraß in ihrem Alltag, so wie sie handeln, Feministen, ohne sich so zu bezeichnen. Wenn sie zum Beispiel Anstoß daran nehmen, dass eine Frau verbal oder körperlich belästigt wird. Oder wenn sie es nicht in Ordnung finden, dass Frauen für gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden. Als Feminist finde ich es okay, möglicherweise auf Privilegien verzichten zu müssen, die ich bislang bewusst oder unbewusst für mich in Anspruch genommen habe. Wenn zum Beispiel Frauen genauso viel wie ihre männlichen Kollegen verdienen sollen, bleibt die nächste Gehaltserhöhung für die Männer aus. Mit dem subjektiven Gefühl der Benachteiligung in diesem Fall können Feministen* umgehen.
5. Was ist Antifeminismus?
Seit Frauen sich gegen ihre Unterdrückung wehren, gibt es immer wieder Bestrebungen, ihre Emanzipation zu verhindern. So versuchten beispielsweise vor mehr als 100 Jahren Antifeministen, das Wahlrecht für Frauen zu torpedieren. Bei der Gründung der Bundesrepublik war es ein harter Kampf, die Gleichberechtigung von Frau und Mann im Grundgesetz zu verankern. Trotzdem konnte ein Mann zum Beispiel noch bis 1976 per Gesetz als Haushaltsvorstand seiner Ehefrau verbieten, berufstätig zu sein.
Auch heute geht es Antifeminist*innen im Kern immer noch darum, Frauen ihre der «Natur» entsprechende Rolle in der Gesellschaft zuzuweisen. Sie sollen Kinder bekommen und sich um die Familie kümmern, die als «Keimzelle der Nation» betrachtet wird. Antifeminismus bedeutet, feministische Anliegen und Positionen pauschal, aktiv und oft organisiert zu bekämpfen oder zurückzuweisen, sei es als Individuum in Internet-Diskussionen, sei es in Parteien oder anderen Gruppierungen.
Aktuell zeigt sich Antifeminismus in einem neuen Gewand als Anti-Gender-Mobilisierung. Diese richtet sich nicht nur gegen Feminismus und Gleichstellung, sondern auch dagegen, die Vielfalt sexueller Lebensweisen und Identitäten als gleichwertig zu akzeptieren. Ebenso wird gegen die Gender Studies und Geschlechterforschung als angebliche «Gender-Ideologie» mobilisiert. Dabei werden Feindbilder konstruiert, wie zum Beispiel die Behauptung, Feminismus sei eine einheitliche und übermächtige Bewegung, die Männer unterdrücken wolle und ein gemeinschaftliches Miteinander verhindere.
6. Bin ich Antifeminist*in, wenn ich gegen die Quote bin?
Manche Menschen finden die feministische Grundannahme, dass alle Geschlechter gleichwertig sind und deshalb gleichberechtigt sein sollten, falsch, fragwürdig oder befremdlich. Sie sind deshalb nicht automatisch antifeministisch. Wer Mühe mit feministischen Prämissen hat, ist vielleicht geschlechterkonservativ eingestellt, fachlich wenig über Geschlechterthemen informiert oder einfach nicht interessiert.
Anders als Antifeminismus setzt sich Geschlechterkritik fachlich informiert mit Geschlechterkonzepten oder Geschlechterforschung auseinander und ist auch ein Bestandteil der Geschlechterforschung und feministischer Diskussionen.
7. Was bedeutet es, intersektional zu denken und zu handeln?
Angeregt durch die Erfahrungen Schwarzer Frauen und Lesben, die sich im Feminismus westlicher weißer Mittelschichtsfrauen nicht wiederfanden, kam in feministischen Diskursen schon früh die Frage auf, wie verschiedene Differenzdimensionen wie Geschlecht, Klasse und Race miteinander verwoben sind und sich gegenseitig verstärken oder aber auch aufheben können. Denn die Rede von einer gemeinsam erfahrenen Unterdrückung qua Geschlecht griff vor dem Hintergrund rassistischer Ausgrenzung Schwarzer Frauen zu kurz.
Der Begriff Intersektionalität selbst wurde erstmals durch die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw (1989) ins Spiel gebracht, die das Bild der Straßenkreuzung (englisch: intersection), an der sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden, verwendete. Sie wollte damit die Verwobenheit sozialer Ungleichheiten, wie sozialer Status, ethnische Herkunft, Behinderung und/oder Geschlecht, illustrieren. Entsprechend kann Intersektionalität als eine mehrdimensionale Art zu denken und zu handeln verstanden werden, als Alternative zu eindimensionalen Erklärungsmustern.
Eine Arbeiterin wird möglichweise nicht diskriminiert, weil sie Frau oder weil sie Schwarz ist. Der Grund für beispielsweise eine Entlassung könnte aber sein, dass sie eine Schwarze Frau ist.